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Die Geschichte der Dialyse

Thomas Grahams Druckmanuskript „Bakerian Lecture“

Druckmanuskript der „Bakerian Lecture“ von Thomas Graham vor der Royal Society in London (1854) über die „Osmotische Kraft“

 

Historische Grundlagen der Hämodialyse

Das akute und chronische Nierenversagen, das unbehandelt im Verlauf einiger Tage oder Wochen zum Tode führt, ist eine Erkrankung, die so alt ist wie die Menschheit selbst. Im alten Rom und später im Mittelalter versuchte man, die Harnvergiftung (Urämie) durch die Anwendung heißer Bäder, durch Schwitzkuren, Aderlässe und Einläufe zu behandeln.

Die heutigen Verfahren zur Behandlung des Nierenversagens bedienen sich physikalischer Prozesse wie Osmose und Diffusion, die in der Natur beim Transport von Wasser und gelösten Substanzen universell verbreitet sind. Die erste wissenschaftliche Beschreibung dieser Vorgänge stammt aus dem 19. Jahrhundert von dem berühmten schottischen Chemiker Thomas Graham, der damit als „Vater der Dialyse“ gilt. Osmose und Dialyse waren zunächst als Methoden von Bedeutung, die im chemischen Labor die Trennung von gelösten Stoffen sowie das Entfernen von Wasser aus Lösungen mittels halb durchlässiger („semipermeabler“) Membranen ermöglichten.

Weit vorausschauend wies Graham in seinen Arbeiten auf die Anwendungsmöglichkeiten dieser Vorgänge in der Medizin hin. Der Begriff Hämodialyse beschreibt heute ein Verfahren, bei dem das Blut nierenkranker Patienten extrakorporal, also außerhalb des Körpers, von urämischen Substanzen gereinigt wird.

Dr. Georg Haas Dialyse Universität Gießen

Dr. Georg Haas bei der Dialyse eines Patienten an der Universität Gießen

 

Der Beginn der Dialyse

Die historisch erste Beschreibung eines solchen Vorganges stammt aus dem Jahre 1913. Abel, Rowntree und Turner „dialysierten“ narkotisierte Tiere, deren Blut zu diesem Zweck durch semipermeable Membranschläuche aus Collodion, einem Membranmaterial auf der Grundlage von Zellulose, geleitet wurde. Es ist heute nicht mehr klar festzustellen, ob Abel und seine Mitarbeiter die Anwendung dieser Technik von Anfang an für die Behandlung des Nierenversagens im Auge hatten.

Unzweifelhaft repräsentiert aber der Abelsche Vivi-Diffusionsapparat die wesentlichen Elemente, die noch heute bei der Dialyse zum Einsatz kommen. Um das Blut durch den „Dialysator“ leiten zu können, musste die Gerinnungsfähigkeit zumindest zeitweise unterbunden werden. Dazu benutzten Abel und Mitarbeiter eine Substanz mit dem Namen Hirudin. Dieses war 1880 als gerinnungshemmender Wirkstoff im Speichel von Blutegeln identifiziert worden.

Die erste Dialysebehandlung bei Menschen nahm der Gießener Arzt Georg Haas vor. Nach vorbereitenden Experimenten dialysierte Haas vermutlich im Sommer 1924 den ersten Patienten mit Nierenversagen am Universitätsklinikum Gießen. In den Jahren bis 1928 dialysierte Haas weitere sechs Patienten, von denen jedoch niemand überlebte. Die Gründe dafür waren vermutlich der bereits sehr kritische Gesundheitszustand dieser Patienten und die unzureichende Effektivität der Dialyse.

Wie Abel benutzte auch Haas bei seinen ersten Dialysen Hirudin als  gerinnungshemmendes Mittel. Da diese Substanz von einer dem Menschen weit entfernten Spezies stammt und nur unzureichend gereinigt wurde, führte dies häufig zu massiven Komplikationen aufgrund allergischer Reaktionen. Schließlich setzte Haas in seinem siebten und letzten Experiment Heparin ein. Heparin ist die universell gerinnungshemmende Substanz bei Säugetieren. Obgleich auch diese Präparationen noch unzureichend gereinigt waren, verursachten sie weniger schwere Komplikationen als Hirudin und konnten vor allem in größeren Mengen hergestellt werden. Nach der Entwicklung effektiver Reinigungstechniken im Jahre 1937 wird Heparin heute noch zur Gerinnungshemmung verwendet.

Willem Kolff erste erfolgreiche Dialysebehandlung

Willem Kolff

 

Die erste erfolgreiche Dialysebehandlung

Dem Niederländer Willem Kolff gelang im Herbst 1945 der Erfolg, der Haas zuvor versagt geblieben war. Eine 67-jährige Patientin, die mit akutem Nierenversagen in das Krankenhaus eingeliefert worden war, wurde von Kolff eine Woche lang mit einer von ihm entwickelten Trommelniere dialysiert und konnte später mit normaler Nierenfunktion wieder entlassen werden.

Dieser Erfolg belegte die Anwendbarkeit des von Abel und Haas erarbeiteten Konzeptes und stellte den ersten wichtigen Durchbruch bei der Behandlung nierenkranker Patienten dar. Dieser Erfolg war unter anderem den technischen Verbesserungen an der eigentlichen Behandlungsapparatur zuzuschreiben. Die Kolffsche Trommelniere benutzte auf eine Holztrommel gewickelte Membranschläuche aus Cellophan, einem neu verfügbaren Material auf Zellulosebasis, das eigentlich zur Verpackung von Lebensmitteln diente.

Diese Trommel mit den blutgefüllten Schläuchen rotierte bei der Behandlung durch ein Bad mit einer Elektrolytlösung, ein sogenanntes Dialysat. Während der Passage der Membranschläuche durch das Bad traten die zu entfernenden urämischen Toxine aufgrund physikalischer Gesetzmäßigkeiten in diese „Waschflüssigkeit“ über.

Akutdialyse im Koreakrieg 1952

Akutdialyse im Koreakrieg (1952)

 

Die Trommelniere

Exemplare der Kolffschen Trommelniere gelangten über den Atlantik an das Peter Brent Brigham Hospital nach Boston, wo sie einer erheblichen technischen Verbesserung unterzogen wurden. Derart modifizierte Geräte – die Kolff-Brigham-Trommelniere – wurden in den Jahren zwischen 1954 und 1962 von Boston aus an 22 Krankenhäuser weltweit verschifft.

Die Kolff-Brigham-Niere hatte zuvor ihre Bewährungsprobe unter extremen Bedingungen im Koreakrieg bestanden. Durch den Einsatz der Dialyse konnte die mittlere Überlebensrate der Soldaten, die an posttraumatischem Nierenversagen litten, verbessert und somit Zeit für weitere medizinische Maßnahmen gewonnen werden.

Nils Alwall 1946 mit Dialysemaschine

Nils Alwall im Jahr 1946 mit einem frühen Modell der Dialysemaschine

 

Dialyse und Ultrafiltration

Eine der wichtigsten Aufgaben der natürlichen Niere ist, neben der Entfernung urämischer Toxine, die Ausscheidung von überschüssigem Wasser. Bei Ausfall der Nieren muss die künstliche Niere (Dialysator) diese Aufgabe übernehmen. Der Vorgang, bei dem man Plasmawasser des Patienten über die Dialysatormembran per Druckunterschied „abpresst“, wird als Ultrafiltration bezeichnet.

Der Schwede Nils Alwall veröffentlichte 1947 eine wissenschaftliche Arbeit über einen modifizierten Dialysator, der die notwendige Kombination von Dialyse und Ultrafiltration besser umsetzen konnte, als das bei der ursprünglichen Kolff-Niere der Fall war. Die in diesem Dialysator verwendeten Membranen (Cellophan-Schläuche) konnten wegen ihrer Anordnung zwischen zwei metallischen Stützgittern einem höheren Druck ausgesetzt werden. Die gesamte Membrananordnung befand sich in einem dicht schließenden Zylinder, sodass unterschiedliche Druckverhältnisse erzeugt werden konnten.

Frühes Modell Kiil-Dialysator

Frühes Modell des Kiil-Dialysators

 

Weitere Entwicklungen

Nachdem Kolff gezeigt hatte, dass urämische Patienten mit der künstlichen Niere erfolgreich behandelt werden können, setzten in den folgenden Jahren weltweit umfangreiche Aktivitäten ein, um bessere und effektivere Dialysatoren zu entwickeln. Als wesentlich für diese Phase stellten sich die sogenannten „Parallel-Fluss-Dialysatoren“ heraus, bei denen das Blut nicht mehr durch Membranschläuche geführt wurde, sondern durch in mehreren Ebenen angeordnete Membransäcke floss.

Parallel zur technischen Entwicklung von Dialysatoren wurden die wissenschaftlichen Grundlagen zum Stofftransport über Membranen erweitert und speziell auf die Dialyse angewandt. Diese Arbeiten ermöglichten eine quantitative Beschreibung des Dialysevorganges und erlaubten es, Dialysatoren mit klar definierten Eigenschaften zu entwickeln.

Der Blutzugang und die chronische Dialyse

Trotz dieser umfangreichen technischen Entwicklungen war es in den Anfangsjahren der Dialyse schwierig, die für die Behandlung benötigten Blutmengen vom Patienten bereitzustellen. Dazu wurden typischerweise Glaskanülen operativ in dafür geeignete Blutgefäße des Patienten eingesetzt. Diese aufwendige Prozedur und der Umstand, dass die Kanülen nicht lange in den Gefäßen des Patienten verbleiben konnten, hatten zur Folge, dass es unmöglich war, chronisch Nierenkranke, deren Behandlung eine regelmäßige Dialyse voraussetzte, entsprechend zu versorgen und am Leben zu erhalten.

Der Durchbruch auf diesem Gebiet wurde im Jahre 1960 in den USA durch Belding Scribner erreicht. Der später als „Scribner-Shunt“ bekannt gewordene Gefäßzugang erlaubte über mehrere Monate hinweg den relativ einfachen Zugang zu den Blutgefäßen des Patienten und eröffnete damit erstmals die Möglichkeit, chronisch Nierenkranke mit der Dialyse zu behandeln. Zwei Kanülen aus Teflon wurden operativ in geeignete Blutgefäße des Patienten eingesetzt. Die Enden der beiden Kanülen wurden außerhalb des Körpers in einem Kurzschluss – daher der Name „Shunt“ – miteinander verbunden. Für die Dialyse wurde der Shunt geöffnet und an den Dialysator angeschlossen.

In der weiteren Entwicklung wurden ab 1962 verbesserte Shunts vollständig aus flexiblen Materialien aufgebaut. Der jedoch für den Blutzugang in der Dialyse entscheidende Durchbruch im Jahre 1966 geht auf Michael Brescia und James Cimino zurück. Deren Arbeiten sind auch heute noch von elementarer Bedeutung für die Dialyse. Sie verbanden in einem chirurgischen Eingriff eine Arm-Arterie mit einer Vene. Diese Vene war nicht auf die hohen arteriellen Blutdrücke eingestellt und vergrößerte sich stark. In diese unter der Haut liegende Vene konnten dann Nadeln eingeführt werden, die den wiederholt erforderlichen Blutzugang erlaubten.

Diese Technik verringerte das Infektionsrisiko und erlaubte eine Dialysebehandlung über Jahre hinweg. Die sogenannte arterio-venöse Fistel (AV-Fistel) ist auch heute noch der Gefäßzugang der Wahl bei Dialysepatienten. Einige AV-Fisteln wurden vor über 30 Jahren bei Dialysepatienten angelegt und sind noch heute im Einsatz.

Der erste chronische Hämodialyse-Patient Clyde Shields

Clyde Shields (1921–1971)

 

Der erste chronische Hämodialyse-Patient

Die Entwicklung ermöglichte es, Patienten mit chronischem Nierenversagen langfristig zu behandeln. Im Frühjahr 1960 wurde dem US-Amerikaner Clyde Shields bei Scribner in Seattle ein Shunt gelegt: Damit wurde er der erste chronische Hämodialyse-Patient. Shields überlebte mit seinem chronischen Nierenversagen die folgenden elf Jahre dank der Dialyse; er starb 1971 an einer kardiologischen Erkrankung. Auf der Grundlage dieses Erfolgs wurde in den folgenden Jahren in Seattle das erste chronische Hämodialyse-Programm der Welt etabliert.

Für zahlreiche Entwicklungen und Erfindungen der Arbeitsgruppe um Scribner wurde in jenen Jahren kein Patentschutz angestrebt, um eine schnelle Verbreitung dieser lebenserhaltenden Techniken zu unterstützen. Mit der Entwicklung besserer Gefäßzugänge konnten chronisch Nierenkranke erstmals effektiv behandelt werden.

Allerdings dauerte eine Dialysebehandlung Anfang der 70er-Jahre rund zwölf Stunden und war aufgrund des hohen Material- und Behandlungsaufwands sehr teuer. Nicht alle Nierenpatienten hatten daher Zugang zu der lebensrettenden Therapie: In den USA beispielsweise entschieden Komitees über die Vergabe der wenigen Therapieplätze und trafen damit die schwere Entscheidung zwischen Leben oder Tod.

Hämodialysemaschine 6008 von Fresenius Medical Care

Hämodialysemaschine 6008 von Fresenius Medical Care

 

Die moderne Hämodialyse

Nach dem Anfangserfolg in Seattle etablierte sich die Hämodialyse zur Behandlung des chronischen und akuten Nierenversagens weltweit. Membranmaterialien, Dialysatoren und Dialysegeräte wurden kontinuierlich verbessert und industriell in zunehmend hohen Stückzahlen hergestellt. Von großer Bedeutung war die Entwicklung des ersten Hohlfaserdialysators im Jahre 1964. Bei einem Hohlfaserdialysator werden die großen Membranschläuche oder Flachmembranen der bisher üblichen Dialysatoren durch eine Vielzahl kapillargroßer Hohlmembranen ersetzt.

Dieses Verfahren ermöglichte Dialysatoren mit großen Oberflächen, die für eine ausreichend effektive Dialysebehandlung erforderlich sind. Die Entwicklung der dazugehörigen industriellen Fertigungstechnologien erlaubte in den folgenden Jahren die Bereitstellung großer Mengen an Einmaldialysatoren zu akzeptablen Kosten.

Heutzutage kommen Dialysatoren aus vollsynthetischem Polysulfon zum Einsatz, einem Kunststoff, der sich durch besonders gute Reinigungsleistung und Verträglichkeit für den Patienten auszeichnet. Sie basieren immer noch auf diesen Technologien. Darüber hinaus überwachen moderne Dialysegeräte die Patienten, um kritische Zustände während der Behandlung frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Sie zeichnen sich durch effiziente Monitoring- und Datenmanagementsysteme aus und sind in den vergangenen Jahren benutzerfreundlicher geworden. Dialysegeräte der neusten Generation bedienen sich außerdem zunehmend computergesteuerter Maschinen, moderner Online-Technologien und deren Vernetzung sowie spezieller Software.

Die immer breitere Anwendung der Hämodialyse in der klinischen Praxis erlaubte es der medizinischen Wissenschaft, die Besonderheiten chronisch Nierenkranker besser zu verstehen. Die Herausforderungen bei der Behandlung nierenkranker Patienten liegen, anders als in den Anfangszeiten, mittlerweile nicht mehr in den mangelhaften therapeutischen und organisatorischen Möglichkeiten. Sie liegen vielmehr in der großen Zahl dialysepflichtiger Patienten, den Begleiterscheinungen bei langjährigen Dialysebehandlungen und einer demografisch wie auch medizinisch zunehmend schwieriger werdenden Patientenpopulation, deren Behandlung ohne die hier beschriebenen Pionierleistungen nicht denkbar wäre.

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